Geschichte

Gießener Anzeiger vom 27. Februar 2004

Wechselhafte Chorgeschichte im Zeitraffer

KROFDORF-GLEIBERG (mf). „Lange vor der Gründung des ersten Gesangvereins wurde auf dem Gleiberg eifrig musiziert und gesungen und zwar in der Kirche, Zuhause, unter der Dorflinde, in der Spinnstube sowie an zahlreichen anderen Orten, zu den verschiedensten Gelegenheiten…“, ist im Heimatbuch Krofdorf-Gleiberg, von Dr. Jürgen Leib, nachzulesen. Der Verfasser zitiert auch den als Lehrer Gleibergern bekannten Ernst Praß mit den Worten: „Krofdorf-Gleiberg kann auf Grund seiner Tradition … als ein ,altes, singendes Dorf` bezeichnet werden.“ Ein Teil dieser Tradition spiegelt sich in diesem Jahr auf besondere Weise bei der Sängervereinigung Gleiberg wieder. Der längst nicht mehr kleine, aber immer noch feine, einzig noch verbliebene Verein „dort oben unter der Burg“ (sieht man vom Gleibergverein einmal ab), feiert den 125. Jahrestag seiner Gründung.

Beide Vereine verbindet geschichtshistorisch die Jahreszahl 1879. Nach mündlichen Überlieferungen wird im gleichen Jahr, in dem die Burg Gleiberg vom preußischen Königreich in das Eigentum des Gleibergvereins übergeht, der Gesangverein „Hermanus“ Gleiberg, als reiner Männerchor und ältester Vorläufer der heutigen Sängervereinigung aus der Taufe gehoben. Die Gründungsversammlung fand vermutlich im heute noch existenten Gasthaus „Zum schwarzen Walfisch“ statt – ein entsprechendes Protokoll fehlt jedoch.
Erster Chorleiter war der Gleiberger Konrad Drescher. „Sind wir von der Arbeit müde, haben wir noch Lust zum Liede“, lautet die Inschrift auf der Vereinsfahne, die 1880 gestiftet wurde. Zwei Jahre danach erst gibt es Protokollaufzeichnungen die belegen, dass das Eintrittsgeld für neue Mitglieder 1,20 Mark betrug und 50 Pfennige Strafgeld zu zahlen waren von demjenigen, der bei offiziellen Veranstaltungen fehlte. Schlechtes Betragen hatte den Ausschluss zur Folge.

1886 fand auf der Burg mit 17 befreundeten Vereinen ein großes Stiftungsfest statt. Doch schon Ende der 80er Jahre dieses Jahrhunderts führten wohl Meinungsverschiedenheiten bei „Hermanus“ zur Gründung eines zweiten Gesangvereins und zwar des nur 15 Jahre bestehenden „Männergesangvereins Gleiberg“, dem wohl überwiegend die älteren Sänger beitraten, die sich ebenfalls im „Schwarzen Walfisch“ zu den Übungsstunden trafen. Beide Vereine zusammen verfügten über 70 Sänger, eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass Gleiberg seinerzeit rund 400 Einwohner hatte. Es vergehen rund 30 Jahre, bis es 1921 wieder grundlegend neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Sangestätigkeit in Gleiberg gibt.

Die politischen Entwicklungstendenzen um diese Jahrhundertwende brachten auch Bewegung in das kleine Dörfchen. Nach Meinungsverschiedenheiten spalteten sich jungen Mitglieder vom „Hermanus“ ab und riefen den Arbeitergesangverein „Heiterkeit“ Gleiberg ins Leben. Es handelte sich um einen gemischten Chor, mit der Gastwirtschaft „Zur Linde“ als Vereinsdomizil. Eine Gleibergerin hatte das Banner handgefertigt, welches die Inschrift zierte: „Lasst tönen laut mit hellem Klang der Arbeit stolze Lieder; die Welt sei unser Vaterland und alle Menschen Brüder“. 1922 regt die „Freie Turnerschaft Gleiberg“ den Zusammenschluss des „Hermanus“ und der „Heiterkeit“ an – eine sinnvolle Idee, die allerdings nicht gelingt. Ein unvergessliches Jahr ist das Jahr 1928 für den Arbeitergesangverein, der am Bundessängerfest in Hannover teilnimmt. Mit 800 Sängern und zwei Orchestern wird in der Stadthalle das Händel-Oratorium „Missa Solemnis“ aufführt. Ein Jahr später feiert der Gesangverein „Hermanus“ sein 50-jähriges Vereinsjubiläum.
1933 führt der politische Umsturz zur Auflösung des Arbeitergesangvereins, wobei das Banner ebenso verloren geht wie das Vermögen des Vereins. Einigen Mitgliedern von „Hermanus“ ist es zu verdanken, dass ein Teil der Noten und der Vereinsschrank sichergestellt werden konnten und heute im Besitz der Sängervereinigung sind. Beim Gesangverein „Hermanus“, der 1933 dem Sängergau Solms-Wetzlar angegliedert wurde, kam das Vereinsleben mit Beginn des Zweiten Weltkrieges zum Erlöschen.

Neues Kapitel aufgeschlagen

Am 1. März 1947 entstand aus den beiden Chören dann der gemischte Chor der „Sängervereinigung Gleiberg“, im Lokal „Zum schwarzen Walfisch“. Damit begann ein neues Kapitel „Chorgesang“ in Gleiberg. Im Wechsel fand in den beiden Gleiberger Gasthäusern der Übungsbetrieb statt. Am 1.Weihnachtsfeiertag des Gründerjahres findet auf Burg Gleiberg eine Veranstaltung statt, die bis heute als „Weihnachtsball“ fester Bestandteil des Vereinslebens ist und stets regen Zuspruch, auch von anderen Vereinen, findet. Nach der Währungsreform geht es steil bergauf. Kappen- und Theaterabende, Ausflugsfahrten, Sängertreffen bereichern das Vereinsleben der Sängervereinigung, die 1954 zum Jubiläumsfest „75 Jahre Sängertätigkeit Gleiberg“ einlädt und auf 67 aktive und 54 passive Mitglieder stolz sein kann. 1957 dann wieder ein Einbruch und zwar die Auflösung des gemischten Chores wegen fehlender weiblicher Stimmen und Fortsetzung des Chorbetriebes als reiner Männerchor. Ein Jahrzehnt später zählt man 39 aktive Sänger, darunter zehn Jugendliche. 1969 das Festkonzert zum 90-jährigen Jubiläum, wo die mit entsprechenden Dias hinterlegte Darbietung des Männerchores „Europäische Volkslieder“ große Beachtung findet. Drei Jahre später die Auflösung des Männerchores – mangels Masse und nach 17 Jahren gibt es dann wieder einen gemischten Chor, dominiert von 21 Frauen bei 14 Männern.

Es geht wieder aufwärts: 1974 Teilnahme an der 1200-Jahr-Feier Krofdorf-Gleiberg und 1977 geht am 18. März, mit der Einweihung des „Tempelchens“ (Dorfgemeinschaftshaus), ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung: ein Raum, in dem regelmäßige und ungestörte Chorproben möglich sind. Ein eigenes Klavier wurde angeschafft, das die Geige ablöste, mit der bislang die Stücke einstudiert worden waren. 1979, im Jahr des 100-jährigen Bestehens, bildet sich aus den Chorreihen die Gruppe „Gleiberger Nachtschwärmer“, die bis 1983 örtliche Fastnacht mitprägten. Der Verein hat 113 Mitglieder, davon 39 Aktive. Bei zahlreichen örtlichen und überörtlichen Veranstaltungen wirkt die Sängervereinigung in den 80er Jahren mit. 1990 wird der langjährige und inzwischen verstorbene Chorleiter, Albin Drescher, zum Ehrenchorleiter ernannt. 1997 gilt als der „Tiefpunkt“ der langen Vereinsgeschichte: Fünf Aktive scheiden aus und mit nur noch 23 Mitgliedern ist kaum noch Staat zu machen.

Mit Andreas Stein tritt in diesem denkwürdigen Jahr ein junger Chorleiter seinen Dienst an und langsam aber stetig läuft die Aktion „Phönix aus der Asche“. Gemeinsam mit engagierten Mitgliedern des Chores und des Vorstandes wird eine „Rettungsaktion“ initiiert. Es werden „Schnupperchorproben“ angeboten – mit Erfolg. Neue, vor allem junge Sängerinnen und Sänger, fühlen sich wieder wohl, vor allem, weil auch modernes Liedgut gesungen wird. Die Vereinssatzung wird 2002 aktualisiert, um den Chor in das Vereinsregister eintragen lassen zu können. Fast wie ein Jungbrunnen wirkt sich die Werbeaktion auf die Chorgemeinschaft aus, gipfelte Ende 2002 in einem bemerkenswerten Projekt, zu dessen Abschluss man sogar den Ural-Kosaken-Chor gewinnen konnte.

Seit kurzem läuft mit Erfolg auch die Kooperation mit der Chor-AG der Grundschule Krofdorf-Gleiberg und zu Recht sehen die Verantwortlichen, mit Erich Lautz als Vorsitzendem an der Spitze, die Sängervereinigung Gleiberg als einen „gemischten Chor auf neuen Wegen“, vor allem aber als „Verein für die ganze Familie“.